Die
Mittelschicht fürchtet nichts so sehr wie den Verlust dessen, was sie besitzt:
Arbeit, Status, Sicherheit. Im Kino ist diese Angst längst Motor großer
Gesellschaftsdramen: von Bong Joon-hos „Parasite" bis zu Radu Judes
„Kontinental '25". Auch Park Chan-wook widmet sich in „No Other
Choice" dieser Furcht. Dafür adaptiert er Donald E. Westlakes Roman „The
Axe", den einst Costa-Gavras verfilmte – doch er verpflanzt die Geschichte
in die hypermoderne Arbeitswelt Südkoreas, ein Land, das wie kaum ein anderes
zwischen Erfolgsdruck und digitaler Umwälzung vibriert.
Man-su
(Lee Byung-hun) ist seit 25 Jahren Spezialist für Papier. Doch als seine Fabrik
auf KI-Automatisierung umstellt, verliert er über Nacht alles: Job, Status,
Selbstwert. Was wie eine Sozialstudie beginnt, kippt bald ins Terrain, das Park
am besten beherrscht: der Thriller als moralisches Schlachtfeld. Man-su
entwickelt einen Plan, alle seine Mitbewerber für einen neuen Job zu ermorden –
denn jeder Konkurrent weniger bedeutet eine Chance mehr. Park Chan-wook
inszeniert diese makabere Karrierestrategie mit glasklaren Bildern und
groteskem Witz. Wie schon in seiner Rachetrilogie fragt er nach Schuld und Ehre
– diesmal im Spiegel eines entfesselten Arbeitsmarkts. „No Other Choice"
ist mehr als ein Beitrag zum südkoreanischen Gesellschaftskino: Es ist eine
bitterböse Allegorie auf den Hyperkapitalismus, in dem patriarchale
Erwartungen und neoliberale Logik Hand in Hand arbeiten. Nach „Die Frau im
Nebel“ (zu sehen bei 14 Films 2022) der nächste große Wurf des
Ausnahmeregisseurs Park Chan-wook.

